No. 6 – das Betthupferl aus Folge #6
25. November 2024No. 7 - Das Betthupferl aus Folge #7
Von Christian Topel
Den Anruf fand Karin höchst verstörend.
Ob sie die Kinder nicht mal wieder über Nacht zu den Großeltern verfrachten wollen, hatte Sebastian gefragt. Dass sie sich doch mal wieder – Zitat – "in schwarze Spitze schmeißen könnte“, hatte er vorgeschlagen, mit so viel lüsternem Schmelz in der Stimme, dass es ihr eiskalt den Rücken hinuntergelaufen war.
Spätestens in diesem Moment begann Karin, es zutiefst zu bereuen, dass sie sich a) in dieser Mittagspause als Fahrerin zur Verfügung gestellt und sie b) das Gespräch über dieFreisprechanlage angenommen hatte. Infolgedessen kannten nun auch Claudia, ihre Referendarin, sowie Dr. Goldgruber, Inhaber und Namenspatron der Rechtsanwaltskanzlei, in der Karin arbeitete, Sebastians geheimste Gelüste. So geheim, dass selbst Karin bis vor wenigen Minuten nichts von ihnen geahnt hatte. An den genauen Wortlaut wollte sie sich gar nicht erinnern. Neben der Klamottenwahl war es um diverse Lebensmittel wie Honig, Nutella oder Schlagsahne gegangen, die Sebastian, nun ja, zweckzuentfremden gedachte; außerdem um in aller Ausführlichkeit beschriebene, nun ja, Leibesübungen, die vermutlich sogar dem Autor des Kamasutra die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätten.
Karins Schamesröte flammte seither beständig auf ihren Wangen. Die gut zehnminütige Fahrt war eine einzige Tortur gewesen. Kollegin Claudia hatte irgendwann begonnen, sich leise giggelnd ins Fäustchen zu lachen, Dr. Goldgruber schien mehrere Male nur haarscharf an einem tödlichen Asthmaanfall vorbeizuhusten. Jetzt stocherten sie alle drei in ihren Sushi-Tellern herum und wagten nicht, dem Gegenüber ins Gesicht zu sehen.
Ich werde einfach kündigen, denkt Karin. Das wird sich herumsprechen, und wenn ich künftig die Kanzlei betrete, werden die Gespräche stocken und hinter meinem Rücken grinsen sich alle den Arsch, Entschuldigung, den Popo ab. Nein, das ertrage ich nicht! Kündigen, Sebastian den Hals umdrehen oder die Scheidung einreichen oder ihn einweisen lassen oder - hach.
Karin seufzt, Claudia hüstelt, Dr. Goldgruber spricht:
„Toll, Frau Brettschneider, dass sie und ihr Gatte noch so ein lebendiges Liebesleben pflegen“, sagt ihr Vorgesetzter, und Karin überlegt, ob sie sich die beiden Ess-Stäbchen links und rechts direkt ins Trommelfell rammen soll. „Bei mir und meiner Erika herrscht ja schon seit Jahren buchstäblich Flaute“, fährt Goldgruber fort und blickt sehnsüchtig aus dem Fenster. Vermutlich wandert sein Blick in eine ferne Vergangenheit, als er und seine Erika noch – oh Gott, Karin will es gar nicht wissen. Sie möchte im Erdboden versinken. Sich in Luft auflösen.
Andererseits hat sie ihre Position nicht erreicht, indem sie den Kopf in den Sand steckt. Sie ist eine Kämpferin, verdammt nochmal! Und Sebastian hatte sich doch heute morgen schon so seltsam benommen. Vielleicht ist er ja wirklich krank?
Karin steht auf.
„Sie müssen mich bitte entschuldigen“, sagt sie. „Ich muss zuhause dringend nach dem Rechten sehen“. Und damit rauscht sie ab – das komplizenhafte Zwinkern von Dr. Goldgrubersie schon gar nicht mehr bemerkend.
Komm du mir nach Hause, Sebastian, denkt sie, nachdem sie sich mit quietschenden Reifen in den Verkehr gedrängelt hat...